HÖHLE DER LÖWEN AUF WESTFÄLISCH

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Steckbrief
Name: Dr. Meike Schäffler (48)
Funktion: Vorstand für Produktion, IT, Personal
Firma: Westfalen AG
Verein: WMs Münster
Familie: Verheiratet, zwei Kinder (13 u. 16)

Startup-Feeling und Innovation Hubs gibt es nicht nur in den Metropolen: Meike Schäffler, Gründungsmitglied der Working Moms in Münster und Vorstand des Mittelständlers Westfalen AG, hat mit einer 6-monatigen Learning Journey gezeigt, wie Mitarbeiter: innen neben dem eigentlichen Tagesgeschäft völlig neue Geschäftsmodelle entwickeln. Von der Tankstellen-App über neue Verpackungsmaterialien bis zu einer Nachhaltigkeitsplattform sind hoch relevante Ideen entstanden. Im Januar 2021 gründet Westfalen nun sogar das erste Startup aus.

Auslöser war der Herrenabend. Jahr für Jahr hat das mittelständische Unternehmen Westfalen seine rund 250 Führungskräfte zum Westfalen-Kongress eingeladen. Offiziell nannte niemand das Treffen so, doch als Meike Schäffler als erste und einzige Frau im Vorstand des Technologieunternehmen der Energiewirtschaft teilnahm, fiel ihr auf, dass man die Konferenz durchaus innovativer und zeitgemäßer aufziehen könnte.
Auch deshalb rief die promovierte Mathematikerin im Frühjahr 2019 eine „Learning Journey“ im Unternehmen aus: Sechs Monate lang sollten Teams, die sich über Hierarchiestufen und Funktionen hinweg zusammenfanden, neben dem Alltagsgeschäft an neuen Ideen und Geschäftsmodellen arbeiten. Das Finale sollte ein Pitch auf dem einstigen Westfalenkongress sein, bei dem die besten Projekte gekürt würden. „Wir haben selbstkritisch erkannt, dass wir bei der Entwicklung von Innovationen Nachholbedarf haben“, sagt Meike Schäffler, die als Vorstand für IT, Produktion und Personal auch die Themen Startups und Innovationen verantwortet. „Wir wussten, dass in den Mitarbeiter:innen mehr steckt, als sie im Alltag zeigen können.“
Die Idee hat einen Nerv getroffen: Es bewarben sich so viele Freiwillige auf grob umrissene Projektfelder, dass elf Teams mit jeweils sechs bis acht Mitarbeiter:innen zustande kamen. Regelmäßige Unterstützung erhielt jedes Team von einem Projektleiter, einem sog. Reiseleiter, sowie ein Pitch-Training von Profis aus der Firma. Moderiert wurde das Event übrigens von einem Trainer der TV-Sendung „Die Höhle der Löwen“.
Rund 70 Mio. Euro investiert Westfalen Jahr für Jahr in neue Anlagen, Produkte und Mitarbeiter:innen – ein solches Projekt hat es bislang allerdings nicht gegeben. Headventures nennt Schäffler die Initiative deshalb auch, was bedeuten soll: Die Reise und das Abenteuer starten im Kopf.
Dass Veränderungen im Kleinen beginnen, hat die Mutter zweier Kinder als Role Model bereits häufig gezeigt: Als Mathematikstudentin, Nebenfach Physik, war sie Anfang der 1990-er eine echte Ausnahmeerscheinung an der Universität, als Promovendin noch viel mehr. Anfang der 2000-er Jahre stieg sie beim Automobilzulieferer Benteler ein, wo sie – kurz bevor sie zum ersten Mal Mutter wurde – konzernweit die Informationstechnologie verantwortete. Später wurde sie dort Geschäftsführerin der Businesseinheit Stahl und Rohr, bevor sie 2015 zu Westfalen, einer 1.800-Mitarbeiter-Firma, kam. Und als eine Mitarbeiterin ihr 2017 von den Working Moms erzählte, ließ sie sich nicht lange bitten, und unterstützte den Verein als Gründungsmitglied.
„Meike ist von Anfang an als wichtige Unterstützerin dabei“, bestätigt Daniela Kooijman, Vorstand der Working Moms in Münster. „Sie gehört nicht zu den ganz Aktiven, doch ich schätze es sehr, dass sie hilft, wenn man sie fragt, und auch ihre Position nutzt, sofern es notwendig ist.“ Erfreulicherweise nicht mit großer Welle, wie Kooijman betont, sondern unprätentiös und geerdet.
Auch in ihrem Job als Vorstandsmitglied bei der Westfalen AG ist es Schäffler wichtig, Dinge zu bewegen und die Zukunft mitzugestalten: „Ich bin diejenige im Vorstand, die 100 Ideen hat“, berichtet sie schmunzelnd. „98 davon reden mir meine Vorstandskollegen wieder aus.“ Wesentliches setzt sich allerdings durch: „Meike Schäffler unterstützt Familienthemen“, sagt Katrin von Poblotzki, Ausbildungsleiterin bei Westfalen und ebenfalls WM-Mitglied. „Als Familienunternehmen schreiben wir den persönlichen und wertschätzenden Umgang untereinander ohnehin groß. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass Familienfreundlichkeit durch Meike im Vorstand zusätzliches Gewicht bekommt.“ Während des coronabedingten Lockdown im Frühling dieses Jahres wurden unter der Federführung der Personalvorständin beispielsweise Vorlese- oder Yoga-Stunden für die Mitarbeiterkinder via Microsoft Teams angeboten. Schäfflers eigene Kinder unterstützten das Projekt tatkräftig: Die Tochter bot Ballett für die Kleinen an und der Sohn Online-Sport für die Großen. Mit 13 und 16 Jahren sind Beide aus dem Gröbsten raus. Weil beide Eltern voll berufstätig sind, unterstützen beide Großmütter maßgeblich. Bis vor ein paar Jahren betreuten Au Pair-Mädchen und -Jungen aus vielen verschiedenen Ländern die Kinder zusätzlich. Wie für die meisten Working Moms-Mitglieder ist die Frage nach Kindern und Karriere keine Entweder-Oder-Entscheidung. „Ich bin dankbar dafür, dass ich sowohl eine großartige Familie als auch einen tollen Beruf haben darf“, sagt Schäffler.
Das merke man ihr auch an, bestätigt Katrin von Poblotzki. „Obwohl sie im Job meine Chef-Chef-Chefin ist, gibt Meike sich äußerst nahbar, teilt Privates und erzählt offen davon, dass sie Mutter ist, gerne kocht oder segelt.“ Zum Auftakt des Headventures-Projektes hat sie beispielsweise die Kreativköpfe der Firma ein Wochenende lang in einem Selbstversorgerhaus zusammengebracht, um die Idee auszuarbeiten. Dabei hat sie nicht nur als Schirmherrin inhaltlich den Ton angegeben, sondern auch den Einkauf übernommen und Rezepte vorbereitet, nach dem alle gemeinsam kochten.
Vielleicht liegt in dieser guten und umfassenden Vorbereitung der Erfolg der Learning Journey begründet: Auf dem Führungskräftekongress haben sich die elf Teams gegenseitig überboten, berichtet Schäffler. Gewonnen hat ein Projekt, das Gase in die Küche bringen soll; um beispielsweise Lebensmittel länger haltbar zu machen. Tatsächlich gibt es mehrere Ideen, die direkt umgesetzt werden können. Unter anderem eine App-Idee, bei der die Belegschaft von Unternehmen zu mehr Umweltschutz motiviert werden soll. Weil Westfalen ein echtes Geschäftsmodell dahinter sieht, gründet die Firma sie im Januar 2021 zusammen mit zwei Mitarbeiter:innen als Startup aus.
„Der große Gewinn von Headventures liegt darin, dass die Mitarbeiter:innen über alle Hierarchieebenen hinweg zusammenarbeiteten und großen Spaß dabei hatten, Neues zu entwickeln und zu realisieren: gemeinsam können sie etwas erreichen.“ Auch der Vorstandsvorsitzende war am Ende des Kongresses begeistert. Und dass der Aufsichtsratschef und Enkel des Gründers, Wolfgang Fritsch-Albert, auf die Bühne kam, um den Abend als beste Veranstaltung zu loben, an der er jemals teilgenommen hat, kommt wohl einem Ritterschlag gleich. Veränderungen beginnen eben im Kopf – seien sie noch so klein.

Stefanie Bilen – im November 2020