GRÜN, MUTTER, MÜNCHEN

katrin_habenschaden_frn_by_andreas_gregor

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Steckbrief
Name: Katrin Habenschaden (43)
Funktion: Zweite Bürgermeisterin
Firma: Stadt München
Verein: WMs München
Familie: Verheiratet, zwei Kinder (11 und 14)

Katrin Habenschaden war als Spitzenkandidatin der Grünen angetreten, um den Münchener OB Dieter Reiter (SPD) abzulösen. Nun versucht die 43-Jährige, ihre Themen als Zweite Bürgermeisterin durchzusetzen. Um sich so für höhere Aufgaben zu empfehlen.

Diese Wette hat sie für sich entschieden: Katrin Habenschaden hat mit ihrem Mann gewettet, wer als Gewinner aus der US-Präsidentschaftswahl hervorgeht: „Ich hatte sehr darauf gehofft, dass sich Joe Biden durchsetzen würde“, sagt die Münchnerin. Vor vier Jahren fand sie es bereits fatal, dass Donald Trump Präsident wurde. Doch dieses Mal, als er in einer zweiten und letztmöglichen Amtszeit nicht mehr auf eine Wiederwahl hätte hoffen können und womöglich radikaler vorgegangen wäre, hatte sie noch größere Bedenken. „Umso glücklicher bin ich nun, dass sich Joe Biden mit Kamala Harris durchgesetzt hat.“
Bei der Wette auf ihre eigene Zukunft sollte die 43-Jährige hingegen nicht Recht behalten – zumindest nicht im ersten Anlauf. Katrin Habenschaden war im Frühjahr 2020 erstmals als Oberbürgermeister-Kandidatin bei der Münchner Kommunalwahl für die Grünen angetreten. Allerdings reichte es nicht – die Novizin konnte sich nicht gegen den Amtsinhaber, Dieter Reiter (SPD), durchsetzen. Aufgrund des guten Abschneidens ihrer Partei im Stadtrat wurde sie Anfang Mai immerhin zur Zweiten Bürgermeisterin gewählt. Während Habenschaden anfangs über ihre persönliche Niederlage enttäuscht war, bezeichnet sie ihre Aufgabe inzwischen als Traumjob.
Zum Video-Interview sitzt sie am Ende eines Arbeitstages gut gelaunt am heimischen Schreibtisch in Aubing im Westen der Stadt. Wie immer trägt sie große, farbige Hängeohrringe und blickt aufgeschlossen in die Kamera. Habenschaden, seit zwei Jahren Mitglied der Münchener Working Moms, ist eine Quereinsteigerin in der Politik. Die Betriebswirtin war lange als Finanzexpertin tätig, zuletzt acht Jahre lang bei der Stadtsparkasse München. Die Betreuung ihrer zwei Kinder hat sie immer partnerschaftlich mit ihrem Mann geteilt: Mal steckte der eine zurück, mal die andere. Zur Politik kam sie 2009, in ihrer zweiten Elternzeit, als sie begann, sich ehrenamtlich für die Grünen zu engagieren. Ein Beruf wurde daraus, als die gebürtige Fränkin fünf Jahre später in den Münchner Stadtrat gewählt wurde. Das Amt der Fraktionschefin und schließlich der Spitzenkandidatin für die OB-Wahl folgten. „In Münchens Stadtgeschichte lassen sich die Frauen, die das Amt der Bürgermeisterin ausgeübt haben, bis heute an einer Hand abzählen“, sagt sie. Das habe auch zur Folge, dass die herausfordernden Seiten der Stadt für berufstätige Mütter – und auch Väter – bislang wenig Berücksichtigung fanden: Kinderbetreuung, Verkehr in der Stadt, familiengerechter und bezahlbarer Wohnraum beispielsweise. „Als meine Kinder klein waren, habe auch ich monatelang um einen Kita-Platz gekämpft“, erzählt Habenschaden. Sie wisse, was das für Familien bedeute. Umso mehr wolle sie den Spielraum, den ihr Amt bietet, auch für Familien und Frauen nutzen.
Christine Gerner, technische Leiterin des Münchner Tierparks Hellabrunn und ebenfalls Working Mom, hat den Weg ihrer Freundin interessiert verfolgt: „Die Politik ist ein ziemlicher Hexenkessel. Ich wäre bei den Umgangsformen schnell beleidigt, aber Katrin gelingt es, sich mit ihrer klugen, charmanten und witzigen Art durchzusetzen.“ Was Gerner nach wie vor erstaunt, ist die mangelnde Bekanntheit Habenschadens – in Teilen Münchens und darüber hinaus. „Sie muss viel stärker für sich trommeln. Das weiß sie allerdings auch. Ich bin mir sicher, dass sie ihren Weg gehen wird.“
Allerdings hätte Habenschadens Start im Rathaus nicht ungünstiger beginnen können: Es ist die Coronapandemie, die die Arbeit der Stadtverwaltung dominiert. Gesundheit und Sicherheit stehen im Mittelpunkt. Zugleich sinken die Gewerbesteuereinnahmen der Stadt, so dass weniger investiert und stärker um Ausgaben gerungen werden muss. Die Zweite Bürgermeisterin sieht jetzt ihre wichtigste Aufgabe darin, die Stadt – als Stellvertreterin des OBs – gut durch die Pandemie zu steuern. Während viele ihrer Mitarbeiter:innen im Homeoffice bleiben, fährt sie täglich ins Rathaus, um eine funktionierende Verwaltung sicherzustellen. „Die großen Themen beschäftigen uns weiter“, gibt sie selbstkritisch zu: die Klimakrise, die Mobilität in der Stadt, die hohen Lebenshaltungskosten. Hier Verbesserungen zu bewirken, war ihr Wahlkampfversprechen.
Als beispielhafte Maßnahmen der vergangenen Monate nennt sie die Steigerung des Fahrradverkehrs durch sogenannte Pop-up-Wege, wie sie auch in anderen Großstädten eingeführt werden. Oder die Freischankflächen der Gastronomie auf Parkplätzen in der Innenstadt sowie Sommerstraßen, die für Autos gesperrt wurden, um Kindern Spielflächen bereitzustellen. „Durch solche Maßnahmen konnten wir München kurzfristig zu einer lebenswerteren Stadt machen.“
Und auch in Punkto Chancengleichheit hat sie erste Projekte angestoßen: Beispielsweise hat sie Pläne für bezahlbare Kinderbetreuungsplätze für Berufstätige im Schichtbetrieb vorgelegt. Sie konnte durchsetzen, dass ehrenamtliche Stadtbezirksarbeiter, die Sozialarbeit auf der Straße leisten, die Kosten für die Betreuung ihrer eigenen Kinder erstattet bekommen. Und als Aufsichtsrätin in städtischen Betrieben wirkt sie darauf hin, dass der Frauenanteil in den dortigen Führungspositionen erhöht wird. Dass die jetzt von der Bundesregierung beschlossene Vorstandsquote für Rückenwind sorgen wird, freut Habenschaden: „Ich bin selbst multiple Quotenfrau. Die Quote ist kein Geschenk, wie von manchen Männern behauptet. Sie sorgt lediglich dafür, dass geeignete Frauen Chancengleichheit erleben.“

Stefanie Bilen, Gründerin der Working Moms Hamburg – im Dezember 2020