DIGITALER SCHUB FÜR DIE BAUBRANCHE

NoraLegittimo

Steckbrief
Name: Nora Legittimo (42)
Funktion: Chief Digital Officer
Arbeitgeber: Schöck Gruppe
Verein: WMs Rhein-Neckar
Familie: Verheiratet, zwei Söhne (12 und 14)

130 Kilometer pendeln, um eine berufliche Herausforderung anzunehmen? Nora Legittimo brauchte eine Weile, um sich an diesen Gedanken zu gewöhnen. Allerdings klang der CDO-Posten beim Familienunternehmen Schöck zu verlockend, als ihn auszuschlagen; zumal die drei Männer in ihrem Haushalt ihr volle Rückendecken geben: „Was, wenn es total gut wird?“   

Nach 13 Jahren in einer durch und durch digitalen Welt ist Nora Legittimo jetzt auf dem Bau gelandet. Die Digitalexpertin hat bei SAP Karriere gemacht. Im vergangenen Mai ist sie als Chief Digital Officer (CDO) zum Bauproduktehersteller Schöck gewechselt. Ihre Aufgabe ist es, die begonnene Digitalisierung des Unternehmens fortzuführen und auf die Angebote und Services des Unternehmens auszuweiten. „Ich freue mich unglaublich über diese Herausforderung“, sagt die studierte Betriebswirtin im Working Moms-Interview. „Ich habe nicht nur die volle Unterstützung des Vorstandes, es ist zugleich ein enormer Veränderungswillen im gesamten Unternehmen vorhanden.“ Politische Ränkespiele, wie sie es aus vorherigen Positionen kennt, oder eine ablehnende Haltung gegenüber neuen Ideen hat sie bei Schöck bislang nicht erlebt.

Dennoch dürfte es nicht so leicht sein, das Unternehmen aus der durch und durch analogen Baubranche in die digitale Zukunft zu führen. Schöck ist mit 1.100 Beschäftigten Marktführer für Lösungen mit hohem bauphysikalischen Nutzen, beispielsweise zur Verminderung von Wärmebrücken bei Balkonen oder von Trittschall in Treppenhäusern. „Zuverlässigkeit trägt“, lautet der Claim der Firma. „Zu einem solchen Selbstverständnis passt der in der Digitalisierung praktizierte ‚Fail fast‘-Ansatz nicht“, erläutert die CDO. Bei digitalen Projekten ist es üblich, eine Lösung in einem iterativen Prozess zu erstellen, Erkenntnisse zu sammeln, Fehler zu korrigieren und weiterzuentwickeln. „Bei Schöck verkaufen wir hingegen Sicherheit. Da probiert man nicht einfach etwas aus.“ Drei bis sieben Jahre dauert es in der Baubranche, bis ein Produkt marktreif ist. Für Softwareentwickler oder Digitalstrategen ist das eine halbe Ewigkeit.

Ein Team von 17 Mitarbeiter:innen unterstützt Nora Legittimo dabei, die Aufgabe zu meistern, externe Beratungshäuser kommen hinzu. „Beim Einstieg hatte ich keinerlei Ahnung vom Bau, doch ich bringe reichlich Erfahrung mit digitalen Transformationsprozessen mit.“ Bei SAP war sie gut dreieinhalb Jahre verantwortlich für sämtliche Kunden und Dienstleister der Automobilbranche. Davor hatte sie – vor einem Wechsel zum Personaldienstleister Hays – verschiedene Rollen inne.
„Nora wird es gelingen, Wege zu gehen, die neu sind, ohne dabei die Organisation zu überfordern“, ist sich Angelika Dallmayer sicher. Sie hat als Head of Project Management im Automotive-Bereich von SAP eng mit Nora zusammengearbeitet und erlebte oft mit, wie diese Veränderungen durchgesetzt habe, ohne dass sich Widerstand formierte.

Auch für Nora Legittimo persönlich bedeutet der Karriereschritt in mehrerlei Hinsicht einen echten „Change“. Während sie mit ihrer Familie in Mannheim wohnt, hat Schöck seinen Firmensitz in Baden-Baden – 130 Kilometer entfernt. Als die Mutter zweier Söhne in den Bewerbungsgesprächen steckte und zunehmend begeistert von der angebotenen Herausforderung war, fragte sie sich, ob sie ihrer Familie „das antun könne“, wie sie es formuliert. Nach etlichen Gesprächen mit ihrem Mann kam der Familienrat zusammen, in dem auch ihre Söhne sie darin bestärkten zuzusagen. „Stell dir vor, es klappt total gut“, sagte ihr Mann. „Dann wäre es doch schade, wenn du die Chance nicht nutzt. Und wenn es nicht funktioniert, finden wir eine andere Lösung.“ So wie es das Paar immer getan habe.

Mit so viel Rückenwind pendelt die Working Mom – eine der Gründerinnen des Rhein-Neckar-Vereins – nun unter der Woche nach Baden-Baden und kehrt freitags zurück. Ihr Mann – der gemeinsame Nachname stammt übrigens von seinem italienischen Großvater –  hat seine Arbeitszeit auf 60 Prozent reduziert, um seiner Frau den Rücken freihalten zu können. Und wenn ein wichtiger familiärer Termin ansteht, setzt sich die Managerin auch nach Feierabend noch ins Auto und ist in anderthalb Stunden zu Hause.

„Seit ich Nora kennengelernt habe, hält sie massenhaft Bälle in der Luft“, sagt Anne Marx, Vorstand der Rhein-Neckar-WMs. „Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass sie die neue Aufgabe mit allen Herausforderungen gut meistert. Sie ist so positiv und lebensbejahend – und bildet zusammen mit ihrem Mann ein tolles Team.“ Außerdem sei sie eine jener Führungspersönlichkeiten, die ihre Erfahrungen unbedingt an Jüngere weitergeben wollen.

„Ich habe als Mädchen erlebt, was es heißt, aus gutem Hause zu kommen – und durch einen Schicksalsschlag, den Tod meines Vaters, um fast alles gebracht zu werden“, erläutert Nora Legittimo. Es mache einen großen Unterschied, woher man kommt und wer sich um einen kümmert, glaubt sie. „Deshalb möchte ich meine Erfahrungen teilen und für junge Menschen zugänglich sein.“
Ihre ehemalige Kollegin bestätigt, dass ihr das gut gelingt: „Ich verwende den Begriff Role Model nicht häufig, weil er inflationär im Einsatz ist“, sagt Angelika Dallmayer. „Doch wenn es auf jemanden zutrifft, dann auf Nora: Sie lebt vor, was sie von anderen erwartet.“

Und so teilt die Schöck-Managerin ihre Erfahrungen in etlichen Kreisen: Mit Kolleg:innen im eigenen Unternehmen – egal ob einst bei SAP oder jetzt bei Schöck –, im Netzwerk der Working Moms oder als Mentorin von „Netzwerk Chancen“. Nicht zuletzt möchte sie auch ihren 12- und 14-jährigen Söhnen vorleben, wie gleichberechtigte Partner- und Elternschaft gelingen kann.  Wie es scheint, haben beide Jungs diese modernen Rollenbilder längst verinnerlicht. Als deren Freunde kürzlich zu Besuch waren, fragte jemand, warum ihre Mutter sich den Stress überhaupt antue und den anstrengenden technischen Job in einer männerdominierten Branche übernommen habe, inklusive Pendelei und Doppelbelastung. „Weil sie es kann“, lautete die Antwort ihres 14-Jährigen. So wie Nora  Legittimo diese Anekdote schmunzelnd erzählt, merkt man ihr an, dass sie mit der Antwort mehr als zufrieden ist.

Stefanie Bilen, im Oktober 2021